André Goerner ist einer der bekanntesten Friseure Berlins, zu seinen Kunden zählen Manager, Minister, Milliardäre. Er kennt die Höhen und Tiefen seiner Branche wie kein Zweiter: Seine Salons in der Nähe des Gendarmenmarktes, im neuen Edel-Hotel „Telegraphenamt“ und im „Gentlemen’s Circle“ hat er Anfang diesen Jahres geschlossen, jetzt betreibt er noch ein Geschäft im noblen „Hotel Adlon“ am Brandenburger Tor. Der 49-jährige gebürtige Dresdner, Vater einer 12-jährigen Tochter, ist eines der Gesichter einer neuen Kampagne des Bundesarbeitsministeriums, mit der das Thema „Arbeit" wieder positiv herausgestellt werden soll. Dazu wird es Plakate a la Andy Warhol, Reels und Videos geben, Start soll im September sein. Zu Bussiness-News24.de sagt Goerner: „Arbeiten zu dürfen, arbeiten zu können ist für mich ein Luxus, den ich mir fünf Mal in der Woche gönne. Arbeit hat mich zu dem werden lassen, der ich heute bin. Und mit Arbeit kann ich der sein, der ich sein will.“
BN24 hat mit ihm über die Gründe für die Krise seiner Branche gesprochen, den Mangel an Azubis, die Bedrohung durch immer mehr Barbershops und was geschehen muss, damit es wieder aufwärts geht.
Business-News24.de: Zum Friseur muss jeder mal, trotzdem geht es Ihrer Branche schlecht - woran liegt das?
André Goerner: Das hat viele Gründe. Da ist zum Einen das schlechte Image, das Bild des Friseurs ist voller Klischees - voll tätowiert, gepierct, geschminkt, ganz in schwarz gekleidet. Was nichts über die handwerklichen Fähigkeiten aussagt, aber bei manchen Gästen bisweilen Zweifel daran aufkommen lässt ob sie in Bezug auf die eigene Ästhetik verstanden werden. Der Beruf hat so viel mehr Facetten. Dazu kommt die schlechte Bezahlung, das beginnt bei den Azubis: im ersten Lehrjahr gibt’s 649 Euro, im zweiten 766, im dritten 876 Euro. Wer tut sich das heute noch an? Und: viele Friseure sind zwar sehr kreativ, können aber nicht kalkulieren, eine echte Kalkulation gibt es nicht, da bleiben dann am Ende von 100 Euro Einnahmen oft nur noch ein, zwei Euro Gewinn übrig. Eine Mischung aus gestiegenen Preisen gepaart mit der Angst zu teuer zu sein, lässt viele Friseuren von der sprichwörtlichen Hand in den Mund leben.
64% der Friseure sehen laut einer Umfrage negativ in die Zukunft, von 2008 bis 2022 gab es 65% weniger Azubis, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Friseure nimmt beständig ab (2023 waren es noch knapp 150.000). Auf der anderen Seite gibt es gefühlt an jeder Straßenecke einen neuen coolen Barber-Shop, wo sich Männer ihre Bärte pflegen lassen…
Ja, einen Barbershop kann jeder eröffnen, da brauchen Sie keine Ausbildung, keine Qualifikation. Allerdings dürfen dort eigentlich auch keine Haare geschnitten werden, das kontrolliert bloß leider niemand. So wird eine ganze Branche ausgehöhlt, dazu kommen Schwarzarbeit und Geldwäsche. Die wachsende Konkurrenz durch die Barbershops bringen klassische Friseure in echte Existenzängste. Leider ist unsere Branche aber zu schwerfällig, um sich aktiv dagegen zu wehren. Mehr Öffentlichkeitsarbeit seitens der Verbände und Innungen sowie gesetzliche Regulierungen wären hier wünschenswert.
Was muss sich ändern?
Zunächst mal brauchen wir nicht weniger Vorschriften, so wie viele andere Branchen, sondern eher mehr. Für den Start, den Beginn der Selbständigkeit als Friseur, ist es natürlich gut, wenn möglichst wenig Hürden da sind. Aber dann müssen mehr Kontrollen her, dem Missbrauch unsere Berufsstandes wird es viel zu leicht gemacht. Es gibt keine Vorschriften, die verhindern, dass Leute, die keine Ahnung haben, an Menschen herangelassen werden. Außerdem müssen wir wie gesagt dringend an unserem Image arbeiten, wir verkaufen uns einfach definitiv unter Wert. Friseure sind heutzutage nicht zu teuer, sie waren schlichtweg jahrelang zu billig.
Das heißt?
Haare sind wie ein Kleidungsstück. Ja, man kann auch zu Kick oder Takko gehen, man kann sich die Haare auch von Mutti schneiden lassen. Aber der Friseur liefert Qualität und eine Leistung, die ihr Geld wert ist, das müssen wir viel mehr herausstellen. Dazu kommt die Verantwortung: Wir liegen bei Versicherungen in derselben Gefahrenstufe wie Gerüstbauer! Zu Corona-Zeiten zählten Friseure sogar zur systemrelevanten Grundversorgung. Trotzdem ist vielen ihr Beruf sogar eher peinlich, die nennen sich dann Coiffeur oder haben vermeintlich lustige Namen etc. Dabei gibt es keinen Grund, sich zu schämen. In welchem Beruf lassen Kunden jemandem so nah an sich heran, wie in unserem? Für Vertrauen, Verantwortung und einzigartige Fähigkeiten muss sich keiner schämen. Seit geraumer Zeit erlebe ich aber auch gerade unter vielen jungen Kollegen eine neue, sehr begrüßenswerte Selbstwahrnehmung und Stolz auf diesen wundervollen Beruf.
Bilden Sie denn selbst auch Nachwuchs aus?
Das habe ich früher gemacht, heute nicht mehr. Die letzte Auszubildende, die ich hatte, war super, Feuer und Flamme, es war ihr Traumberuf, obwohl sie Abitur hatte und alles Mögliche hätte werden können. Nach drei Monaten hat sie hingeschmissen: sie war mehr in der Berufsschule als bei mir im Salon, saß da mit Leuten zwischen 16 und 43 Jahren, hatte Fächer wie Sport, Religion, Deutsch und Sozialkunde, die Lehrer waren keine Friseure usw. Da hat sie gesagt, das habe ich nicht nötig, so habe ich mir das alles nicht vorgestellt, und war weg. Ich habe sie voll und ganz verstanden.
Aber haben Sie nicht auch eine Pflicht, in die Zukunft Ihrer Branche zu investieren, junge Leute auszubilden?
Ich habe meine Pflicht in den letzen 35 Jahren getan. Ganz hart formuliert: Azubis sind Zeiträuber und eine Fehlerquelle, das brauche ich nicht mehr. Dazu kommt: finden Sie heute mal junge Menschen, die bereit sind, sich das anzutun. Die Generation Z hat ja schon Angst vor Speisekarten und im Restaurant eine Entscheidung zu treffen. Die sollen plötzlich Verantwortung für fremde Menschen übernehmen, ihnen in die Haare greifen und ihr Äußeres gestalten und nachhaltig verändern? Das können Sie vergessen. Meine Aufgabe für die Zukunft sehe ich eher darin, unserer Branche das Image und den verdienten Respekt in einer breiten Öffentlichkeit zurückzubringen und somit auch wieder für viel mehr junge Menschen attraktiver zu machen.
Klingt alles ziemlich düster…
Ja, aber es gibt Hoffnung. Je geringer ein gutes Angebot, umso größer die Nachfrage nach dem Besseren und damit die Chancen. Bestes Beispiel sind die Köche: das wollte früher auch niemand machen, harte Arbeit bei schlechter Bezahlung, die Arbeitszeiten, der raue Ton, das Schmuddelige. Und heute? Essen ist ein riesen Thema, es gibt Star-Köche wie Tim Mälzer oder Tim Raue, mit eigenen Kochshows im TV, Kochbüchern, Restaurants - und auch gutes Essen hat seinen berechtigten Preis. Wenn Kitchen Impossible Erfolg hat, warum dann nicht auch Hairdresser Imposssible? Auch eine Art Guide Michelin für Friseure kann ich mir gut vorstellen, damit jeder Gast die Möglichkeit hat sich zu informieren und aus dem durchaus vorhandenen Angebot toller Kollegen und Kolleginnen sich einen Überblick zu verschaffen und auszuwählen. Viele wären überrascht wie weit man bereit ist für eine sehr gute Friseur Dienstleistung zu fahren, wenn man sie erstmal erlebt hat. Ein Friseur sollte fester Bestandteil und Gradmesser des eigenen Anspruchs und Selbstwertes sein.
Neue Kampagne zum Stellenwert von Arbeit
Wie Business-News24.de exklusiv erfuhr, ist Andre Goerner eines der Gesichter einer neuen Kampagne des Arbeitsministeriums, mit der der "Stellenwert von Arbeit“ hervorgehoben werden soll. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte die Nachricht gegenüber Business-News24.de auf Nachfrage schriftlich: „Es gibt diese Kampagne tatsächlich und sie unterstreicht, dass Arbeit für den Großteil der hier Lebenden einen großen Stellenwert hat. Es geht dabei vor allem auch darum, zu zeigen, dass Arbeit unsere Gesellschaft eint (zwischen Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, Rentner*innen, Mittelständler*innen, Auszubildenden, besser und schlechter Verdienenden ist Arbeit oft das Bindeglied).“
Die Kampagne solle „mit knalliger - für Ministerien eher untypischer - Pop-Art-Gestaltung“ arbeiten. Testimonials seien „Arbeitende allen Alters, Geschlecht, Herkunft und Bildungsstand.“
Die Kampagne sei im Arbeitsministerium konzipiert worden, ihre Laufzeit sei „längerfristig“ angelegt. Sie soll am 26. September in Form einer Vernissage in einer Berliner Galerie eröffnet werden und hat offenbar nichts mit einer anderen, angeblich acht Millionen Euro teuren PR-Kampagne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein besseres Image zu tun.